Sayn-Wittgensteins Mailverteiler – Fürstliche Post von Rechtsaußen

Ende November berichtete die Welt, dass Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein Ende 2014 für den rechtsradikalen „Verein Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen geworben hat. Nur drei Wochen später kam ans Licht, dass sie noch weit mehr Werbung für rechtsradikale Personen und Vereinigungen gemacht hat: Die TAZ und die Webseite Exif-Recherche berichteten am 17.12.2018 über einen E-Mail-Verteiler Sayn-Wittgensteins. Der TAZ lägen insgesamt „knapp 80 gedruckte Seiten“ vor.

Es handelt sich in der Regel um Mails, die Sayn-Wittgenstein erhalten, für informativ gehalten und weitergeleitet hat. Die TAZ fasste zusammen, diese Mails stammten:

„von rechtsextremen Kulturvereinen, Freunden der Waffen-SS, Holocaust-Leugnern und Verfechtern einer Reichsideologie bis zum internationalen Rechtsextremismus.“ (TAZ)

Beide Webseiten nennen zu diesen Mails eine ganze Reihe von Verfassern. In einigen Fällen auch Details aus den Mails. Regelmäßig handelt es sich um Personen und Organisationen aus der rechtsradikalen Szene – Namen, die nicht immer allgemein bekannt sind. Ich habe aus den beiden genannten Quellen die folgende Liste zusammengestellt und jeweils ausgeführt, um was für Personen oder Organisationen es sich handelt, zumeist mit weiterführenden Links. Wikipedia liefert in vielen Fällen einen guten Einstieg zur weiteren persönlichen Recherche.

Auszüge aus dem Mailverteiler

(Jeweils laut EXIF bzw. TAZ, ergänzt um meine Anmerkungen)

  • Meinolf Schönborn, ohne Details zum Mailinhalt: Seine politische Lebensgeschichte findet sich in der Wikipedia. Daraus:
    „Meinolf Schönborn (* 23. Juni 1955) ist ein rechtsextremistischer Aktivist, der als Anhänger der Reichsideologie und für Verharmlosung des Holocaust bekannt ist. … Wegen Volksverhetzung und Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda wurde er zweimal rechtskräftig verurteilt.“
    Er war Mitglied der NPD, war aber selbst für diese Partei zu radikal und wurde dort rausgeworfen.
  • Sonnhild Sawallisch, ohne Details zum Mailinhalt. Über Sawallisch heißt es in der Zeitung Heilbronner Stimme: “ Auch Sonnhild Sawallisch redete auf den Öhringer Kundgebungen. Sie ist nach Recherchen von Timo Büchner und der Hohenloher Zeitung Aktivistin des völkisch-antisemitischen Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff).“  Dieser Bund hat einen Wikipedia-Artikel. Daraus:
    „Die Weltanschauung des Bundes ist durchzogen von offenem Rassismus und Antisemitismus…. Vor allem ‚die Juden‘ seien dabei bestrebt, insbesondere ‚den Deutschen eine Art von Irrsein zu induzieren‘, und zwar mit Hilfe des Christentums, der Freimaurerei und des Sozialismus.“
  • Die Mail vom 14. Mai 2016 ist besonders unerfreulich. EXIF berichtet, Sayn-Wittgenstein habe darin Solidaritätsbekundungen für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck (Wikipedia) verbreitet. Diese habe mit dem Satz geendet „Der Holocaust ist die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte“. Haverbeck ist eine rechtsradikale Aktivistin. Sie ist derzeit wegen Holocaustleugnung inhaftiert. Zum Zeitpunkt dieser Mail war Sayn-Wittgenstein bereits einen Monat lang als Beisitzerin Teil des AfD-Landesvorstands Schleswig-Holstein.
  • Im Februar 2017 verschickte sie EXIF zufolge eine Einladung zu einem Frühjahrsseminar der extrem rechten Organisation „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“. (Wikipedia) Diese Organisation taucht mehrfach in den Berichten des Verfassungsschutzes auf und sie steht auch auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Es verbietet sich daher für AfD-Funktionsträger, Einladungen zu Veranstaltungen dieses Vereins zu verschicken. Sayn-Wittgenstein war zu diesem Zeitpunkt Mitglied des AfD-Landesvorstands und Kandidatin zur Landtagswahl 2017 in SH.
  • Im Juli 2016 bewarb laut TAZ sie die „patriotischen Stammtische“, von Jürgen Schützinger. (Wikipedia). Er war langjähriger Landesvorsitzender der NPD Baden-Württemberg.
  • Am 19. August 2016 bewarb sie EXIF zufolge den Online-Waffenshop „Migrantenschreck“. Betrieben wurde dieser Waffenschop von Mario Rönsch (Wikipedia) Für diesen Waffenhandel wurde Rönsch mittlerweile zu einer Haftstrafe verurteilt. Im Internet Archive (archive.org) kann man sich ansehen, wie die Webseite „Migrantenschreck“ im August 2016 ausgesehen hat. Beworben wurden Waffen zum Verschießen von Hartgummigschossen mit einer Mündungsenergie über 100 Joule. Das entspricht dem Fall eines Gewichts von rund 10 kg aus einer Höhe von einem Meter. Laut diesem Rechtsanwalt braucht man für solche Waffen einen Waffenschein. Die Webseite „Migrantenschreck“ warb aber damit, die Papiere eben nicht zu prüfen. Sayn-Wittgenstein empfahl diese Webseite mit dem zynischen Spruch „Was ist davon zu halten? Durchschlagskraft einer Wasserpistole?“ Sayn-Wittgenstein ist, wie sie in ihrer Bewerbungsrede auf dem AfD-Bundesparteitag 2017 selbst gesagt hat, Sportschützin. Im Rahmen des dafür nötigen Waffenscheins lernt man die Regeln für Waffenscheine. Ihr muss die Illegalität dieser Webseite daher bekannt gewesen sein.
  • Am 1. Mai 2016 bewarb Sayn-Wittgenstein laut EXIF eine Veranstaltung von Wilhelm Herbi und Gerhard Ittner. Ein Foto vom 7. Mai 2016, das sie offenbar am Rande der Demo zeigt, hat sie einige Zeit später auch noch selbst versendet. (Foto siehe EXIF) Dort findet sich auch ein langer Auszug aus dem Demoaufruf. Es geht um eine Gedenkveranstaltung für die Todesopfer der Rheinwiesenlager. (Wikipedia) Herbi behauptet seit langem, dort sei eine Million deutscher Soldaten in amerikanischer Kriegsgefangenschaft ums Leben gekommen. Seriösen Schätzungen zufolge sind dort zwischen 5.000 und 10.000 Insassen ums Leben gekommen. Daher gibt es dort auch ein Mahnmal für diese Kriegsopfer. Etwas gänzlich anderes ist es aber, wenn Rechtsradikale dort mit falschen Opferzahlen hausieren gehen und schreiben „Es rufen Euch: die Toten und Gemarterten der Rheinwiesenlager, des Bombenholocaust, des beispiellosen Holocaust des größten und grausamsten Vertreibungsvölkermordes der Weltgeschichte, bis heute ungesühnt – und bis heute sind dem Deutschen Volk große Teile des Deutschen Reiches entrissen und besetzt.
    Die Veranstalter sind keine Unbekannten: Gerhard Ittner (Wikipedia) ist ein Aktivist der deutschen Neonaziszene, ein verurteilter Volksverhetzer und Holocaustleugner. Wilhelm Herbi (ohne Wikipediaartikel) ist ehemaliger rheinland-pfälzischer NPD-Landesvorsitzender. Mails dieses Inhalts von diesen Leuten darf man als AfD-Funktionär nicht verteilen.
  • Juni 2016: Eine Einladung des der Reichsidee nahestehenden Rainer „aus der Familie“ Rösl zu einem Treffen „für Freunde deutscher Souveränität“
  • Im Juni 2016 verwies sie auf die „Weltnetzseite“ der „Gemeinschaft Avalon“ von Adrian Segessenmann (Wikipedia) Vizepräsident der rechtsextremen „Partei National Orientierter Schweizer“. (Wikipedia)
  • Im April 2016: verwies Sayn-Wittgenstein auf ein „Totengedenken für die ermordeten Waffen-SS-Kameraden der Division Charlemagne“.
  • Im April 2016: verschickte sie eine E-Mail des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke zu einer Razzia bei ihm. Auch Rennicke hat einen Wikipediaartikel. Rennickes rechtsradikale Lebensgeschichte ist lang und begann in der mittlerweile verbotenen Viking-Jugend.
  • Ohne Datum: wird eine Einladung der rechtsextremen Kulturvereinigung „Gesellschaft für freie Publizistik“ genannt. Die Wikipedia schreibt: „Die Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) ist nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz die größte rechtsextreme Kulturvereinigung in Deutschland“ und weiter „Ihr gehören vor allem rechtsextreme Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Die GfP sieht ihre Aufgabe darin, „sich für die Freiheit und Wahrheit des Wortes einzusetzen“, wobei die GfP unterstellt, dass Freiheit und Wahrheit – beispielsweise auf dem Gebiet der Zeitgeschichtsforschung – in Deutschland unterdrückt werden.“

Das Selbstverständnis von Sayn-Wittgensteins Mailverteiler

Sayn-Wittgenstein beschrieb die Aufgabe ihres Mailverteilers in einer E-Mail vom 15.März 2016 so:

Liebe Mitstreiter! Einigkeit macht stark und mit falschen Nachrichten kann man eine Demokratie gut manipulieren. Aus vertrauenswürdiger Quelle habe ich Ihre E-Post-Anschriften erhalten. Ich verteile täglich mehrere Meldungen, die ich von nah und fern erhalte, weil unsere Qualitätspresse uns bestimmte Informationen vorenthalten möchte. Ich gebe diese Informationen – im allgemeinen anonymisiert – weiter und bin ebenfalls an Nachrichten, die Sie mir schicken, interessiert. 

Wenn man nun die oben stehende Liste danebenlegt, dann ist eines deutlich: offenbar ist Sayn-Wittgenstein der Meinung, dass es in der „Qualitätspresse“ an Nachrichten von und über die rechtsradikale Szene mangelt. Diese Auffassung kann man haben, wir sind ein freies Land. Eines kann man aber nicht: man kann nicht solche Mails verteilen und gleichzeitig in der AfD Mitglied sein oder gar noch in ihr eine Führungsposition bekleiden. Sayn-Wittgenstein war ab April 2016 Mitglied des AfD-Landesvorstands Schleswig-Holstein. Das, was Sayn-Wittgenstein hier verteilt hat, ist ein schwerer Verstoß gegen die Grundsätze der AfD.

Wie reagiert die AfD?

Parteifreunde reagieren auf die Presseberichte von TAZ und EXIF gerne verschnupft und meinen, wenn es in der TAZ steht, wäre es für die AfD grundsätzlich irrelevant und ein linkes Recherchenetzwerk wäre per se unglaubwürdig.

Nun ist Doris von Sayn-Wittgenstein ja sehr klagefreudig. Presseberichte Ende 2017 über Kontakte zu Klaus Sojka und seinem Verein „die Deutschen“ hat sie beklagt und die Presse hat diese Berichte auch zurückgezogen. Der TAZ-Artikel wurde meines Wissens nach von ihr bisher nicht beklagt. Er ist weiterhin online. Es würde auch nicht viel Sinn machen, ihn zu beklagen. Es sieht vielmehr so aus, also ob die Berichte über ihren Mailverteiler zutreffen.

Der Beleg für die Existenz des Mailverteilers

Am 19.02.2019 machte in der AfD ein Brief die Runde, eine Mail von Doris von Sayn-Wittgenstein an H.S., (der Name ist mir bekannt, spielt hier aber keine Rolle,) einen ihrer treuen Anhänger im Kreisverband Dithmarschen. H.S. selbst ist Mitglied im Landesfachausschuss 8 (Gesundheitspolitik) der AfD-Schleswig-Holstein, also in einem der politischen Arbeitskreise der AfD im Land (Übersicht hier) . H.S. hat diese Mail dann an die Mitglieder des LFA 8 geschickt. Von dort wurden sie weiterverteilt, auch bis zu mir.

Thematisch ging es um die Frage, ob Sayn-Wittgenstein erneut für den Landesvorsitz kandidieren würde. Der Brief beginnt mit:

Lieber H. [gekürzt, siehe oben],

Im Gegensatz zu den Linksparteien, wo auch Terroristen und Straftäter (sogar in Ministerämtern) salonfähig sind, haben viele Mitglieder noch nicht erkannt, daß wir in einem Krieg sind: Sach- und vor allen Dingen Personenschäden von AfD-Unterstützern sprechen eine deutliche Sprache. Die Meldung der TAZ über meinen „Verteiler“ (ca. 10 Leute) war ein Schuß auf einen ausgemachten politischen Feind; statt zu solidarisieren hat dieser Schuß jedoch viele Mitglieder in der Partei verängstigt. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich festhalten, daß ich keinerlei Straftaten begangen oder zu Straftaten aufgerufen habe.“

Das ist meiner Meinung nach das klare Eingeständnis, dass die Berichterstattung von EXIF und TAZ zutreffend sind. Von 10 Empfängern war in der Presse überhaupt nicht die Rede, diese Information kommt ausschließlich von Sayn-Wittgenstein selbst.

Es macht auch für mich keinen Unterschied, ob man derartige rechtsradikale Mails an 10 oder an 100 Leute verteilt. Die laut TAZ und EXIF verbreiteten Mails sind und bleiben rechtsradikal. Für Amtsträger der AfD verbietet sich das. Solidarität, die sie ihren Worten zufolge eigentlich erwartet hätte, darf es für solche Mails nicht geben!

Die Frage nach der Strafbarkeit ist eine typische Sayn-Wittgenstein’sche Nebelkerze, wie ich sie an anderer Stelle bereits kritisiert habe. Warum?

Rechtsradikale Mails sind typischerweise nicht an sich strafbar. Die Autoren (Liste siehe oben) wählen ihre Formulierungen grundsätzlich so, dass sie möglichst nicht rechtlich belangt werden können. Rechtsradikale Mails zu verteilen, widerspricht dennoch den Prinzipien der Alternative für Deutschland. Mit rechtsradikalen Personen und Vereinigungen will und darf die AfD keinen Umgang haben und das ist auch die Erwartung der AfD an ihre Mitglieder und besonders ihre Funktionsträger.

Gänzlich unbegreiflich ist mir, wie Doris von Sayn-Wittgenstein sich mit diesem politischen Gepäck dennoch anschickt, Ende Juni 2019 wieder für den Landesvorsitz der AfD Schleswig-Holstein zu kandidieren.

Den besten politischen Dienst könne Doris von Sayn-Wittgenstein der AfD leisten, indem sie austritt. Das ist nach all dem, was über ihren Mailverteiler mittlerweile bekannt ist, auch der einzige politische Dienst, den sie der AfD und unserem Land noch erweisen kann.