Du bist kein Computerfreak, du möchtest aber selbst überlegen, ob die Corona-App sicher ist? Das ist schnell erklärt. Wir stellen uns einmal vor, wir machen das ganz ohne Smartphone, ganz ohne Internet, nur mit Papier und Bleistift. Ein paar unwesentliche Details habe ich vereinfacht. Jeder, der mitmacht, braucht:
- einen Würfel
- eine Kladde, also einen Schmierzettel
- ein Notizbuch
- einen Briefumschlag und eine Briefmarke,
- ein Telefon und
- die Adresse und die Telefonnummer vom RKI
Los geht’s.
Deine Geheimzahl, die RPI
Als erstes würfelst Du Dir eine Zahl, offiziell nennen wir die \“RPI\“ (Rolling Proximity Identifier). Im weiteren Verlauf nenne ich sie Deine Corona-Geheimzahl. Du wirst sie zwar vielen Leuten erzählen, Leuten, die Dich nicht kennen, und die sich an Dich auch nicht erinnern werden. Sie ist aber doch im Grunde geheim, weil nur Du weißt, dass diese Zahl Dir gehört. Diese Zahl ist lang, ungefähr 40 Ziffern. Da musst Du mit Deinem Würfel schon eine Weile würfeln, aber das geht. Bei so vielen Ziffern ist auch sichergestellt, dass niemand auf der Welt dieselbe Zahl würfelt wie Du. Ich nehme mal als Beispiel an, ich hätte 254568511211, so viele Stellen reichen mir jetzt für mein Beispiel, in Wirklichkeit ist die Zahl aber 40 Ziffern lang. Und Du hast die 471108153920
Das große Murmeln
Und jetzt fängt das große Murmeln an. Du murmelst die ganze Zeit Deine Geheimzahl vor dich hin. Egal, was Du machst. Du wiederholst die ganze Zeit:
471108153920, 471108153920, 471108153920, vier sieben eins eins…
Und ich mache das mit meiner Geheimzahl auch:
254568511211, 254568511211, 254568511211, zwei fünf vier…
Und damit wirklich alles geheim bleibt, würfeln wir beide alle 15 Minuten, also 4x die Stunde eine neue Geheimzahl. Und wir beide schreiben auf, welche Zahlen wir gewürfelt haben. Nur wir wissen das.
Die Kladde
Wenn wir uns auf der Straße über den Weg laufen, und Du nur wenige Meter von mir weg bist, dann höre ich dich murmeln. Und dann schreibe ich mir Deine Geheimzahl in meine Kladde. Ich kenne Dich nicht, ich weiß nicht, wer Du bist, aber Deine Geheimzahl, die Du vor Dich hinmurmelst, die merke ich mir in der Kladde.
Mein Notizbuch
Wenn ich nun mehrere Minuten hintereinander Deine Zahl höre, also die
471108153920
dann denke ich mir, Moment mal. Schon wieder die 471108153920? Also wenn die 471108153920 jetzt Corona hätte, dann wäre das schon irgendwie doof, denn dann könnte ich mich angesteckt haben. Aber ich weiß ja gar nicht, ob Du Corona hast. Und weißt Du was? Du weißt es auch nicht. Falls ja, merkst Du das vielleicht erst in drei Tagen. Dann gehst Du vielleicht in 5 Tagen zum Arzt und in 7 Tagen (von heute gezählt) weißt Du dann, dass Du Corona hast. Und dann sollte auch ich dringend zum Arzt. Aber wie erfahre ich das? Und das so, dass ich gar nicht herausbekommen kann, wer Du bist? Denn das ist Dir ja wichtig, weil Du so viel Wert auf Datenschutz legst.
Also ich mache jetzt folgendes: Ich übertrage Deine 471108153920 aus meiner Kladde in mein Notizbuch und schreibe das heutige Datum dazu. Warum das Datum? In zwei Wochen interessiert mich deine 471108153920 gar nicht mehr. Dann streiche ich die auch wieder aus meinem Notizbuch. Ach ja, und die Kladde, die schmeiße ich ohnehin jede Stunde weg und fange sie neu an.
Und jetzt bekommst Du Corona?
Und jetzt stellen wir uns vor, es ist tatsächlich passiert: Du bekommst Corona. Und jetzt gibt Dein Arzt Dir einen Code, mit der Du andere Leute warnen kannst. Kannst, und nicht musst. Wenn Du sozial bist, dann informierst Du, wenn Du unsozial bist, dann eben nicht.
Du schreibst jetzt alle Deine Geheimzahlen der letzten zwei Wochen auf ein Blatt Papier. Das sind eine ganze Menge Zahlen. Und Du legst als Beweis dafür, dass das alles echt ist, den Code von Deinem Arzt dazu. Da schickst Du an das RKI. Aber ohne Absender! Dafür brauchst Du die Adresse vom RKI.
Das Büro beim RKI
Das RKI bekommt jetzt Post, da ist eine ganze Latte von Zahlen drin. Aber kein Absender. Nur ein Code eines Arztes, der beweist, dass das echte Corona-Geheimzahlen sind. Das RKI weiß nicht, von wem diese Zahlen stammen. Es weiß nicht, wo Du warst. Es weiß nicht, was Du da gemacht hast. Aber es hat jetzt diese Zahlen. Von Dir und von noch ein paar weiteren Infizierten. Alle diese Zahlen werden täglich auf eine Bandansage gesprochen.
Wie erfahre ich nun davon?
Jeden Morgen rufe ich beim RKI an. Da läuft die Bandansage und da werden alle Corona-Geheimzahlen vorgelesen, die beim RKI als Warnung eingelaufen sind. Ich selbst lausche aufmerksam und prüfe, ob ich eine davon kenne. Oh, ich höre
471108153920.
Und ich merke, diese Zahl die kenne ich. Ich weiß zwar nicht, von wem die ist, aber ich weiß, dass ich diese Zahl in den letzten 14 Tagen gehört habe. Und jetzt weiß ich, dass ich dringend einen Arzttermin brauche, damit ich mich testen lasse, ob ich mich infiziert habe. Und falls ja, kann der Arzt mich frühzeitig behandeln. Und womöglich hast Du mir damit das Leben gerettet. Und das alles nur mit einer blöden Zahl, mit der
471108153920
die Du eine Viertelstunde lang vor Dich hingemurmelt hast, als wir zwei uns getroffen haben.
Und jetzt habe ich eine Frage an Dich
Ich weiß nicht, wer Du bist, ich weiß nicht, wo Du wohnst. Ich weiß nicht, wen Du triffst. Ich kenne von Dir nur die Zahl, die Du gewürfelt hast. Und jetzt möchte ich von Dir wissen, warum das für Dich ein Datenschutzproblem ist.
Außerdem frage ich Dich, warum Du Dich auf WhatsApp und auf Facebook darüber beklagst. Hast Du Dich schon mal gefragt, was Facebook alles über Dich weiß? Das stört Dich nicht, aber bei der Corona-App willst Du nicht mitmachen? Und das obwohl der Staat Dich mit der Corona-App gar nicht überwachen kann?
Aber mit Facebook und WhatsApp, da kann der Staat Dich überwachen. Wenn Du Dir die Corona-App nicht installierst, dann melde Dich bitte auch bei Facebook ab. Das wäre immerhin noch konsequent.
Denk doch mal drüber nach.
Heiko Evermann
Juli 2020