die Unvereinbarkeitsliste – eine politische Lebensversicherung

Im Frühjahr 2016 habe ich mich entschlossen, Mitglied in der AfD zu werden. Beim Lesen des Mitgliedsantags bin ich im zweiten Absatz auf diese Formulierung gestoßen:

Hinweis: Personen, die Mitglied einer extremistischen Organisation sind, können nicht Mitglied der AfD sein. Als extremistisch gelten insbesondere solche Organisationen, welche in einer vom Bundesvorstand beschlossenen und den Gliederungen übermittelten Unvereinbarkeitsliste aufgeführt sind. Personen, die in der Vergangenheit Mitglied einer extremistischen Organisation waren, können nur Mitglied der AfD werden, wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der zuständige Landesvorstand sich nach Einzelfallprüfung mit Zweidrittel seiner Mitglieder für die Aufnahme entscheidet.

Unvereinbarkeitsliste. Was mochte da wohl drinstehen? Also habe ich mir die Liste heruntergeladen. Seiten über Seiten mit Namen. Einige bekannte wie die NPD, aber auch viele, von denen ich noch gar nicht gehört hatte.

Mich hat das damals sehr beeindruckt. Es gab ja schon 2016 Leute, die die AfD in die rechtsextreme Ecke stellen wollten. Diese Unvereinbarkeitsliste war für mich der Beweis, dass die AfD es ernst meint mit der Distanzierung von den Rechtsradikalen, dass sie es ernst damit meint, eine bürgerlich-konservative Partei sein zu wollen.

Ich habe übrigens spaßeshalber nachgeprüft, wie es um meine beiden vorherigen Mitgliedsschaften stand. Zum einen eine kleine christliche Splitterpartei und zum zweiten eine kommunale Wählergemeinschaft in Ellerau. Wie zu erwarten, sie standen nicht drauf.

Wir blättern etwa drei Jahre weiter. Ende November bekam die Unvereinbarkeitsliste der AfD eine politische Dimension: die Zeitung „die Welt“ deckte auf, dass die Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holstein, Doris von Sayn-Wittgenstein, Ende 2014 für einen rechtsradikalen Verein geworben hatte. Sie hatte sogar dazu aufgefordert, in diesem Verein Mitglied zu werden. Ein kurzer Blick in die Unvereinbarkeitsliste zeigte: der „Verein Gedächtnisstätte“ steht bei der AfD auf dem Index. Sie war aber nicht bereit, daraus die politischen Konsequenzen zu ziehen, die man üblicherweise in so einem Fall zieht. Der politische Anstand hätte geboten, dass sie die Partei umgehend selbst verlässt. Stattdessen zettelte sie eine Diskussion über die Unvereinbarkeitsliste an und zündete ein ganzes Bündel an politischen Nebelkerzen. Nebelkerzen, die seitdem durch den Landesverband Schleswig-Holstein wabern und die es bis in die Verhandlungen vor dem Landesschiedsgericht geschafft haben.

Gesondert betrachten müssen wir die Frage, ob Sayn-Wittgenstein selbst Mitglied in diesem Verein war. Mehr dazu in einem weiteren Artikel. Hier nur kurz: der Verein hat es laut FAZ der Presse gegenüber bestätigt.

Nebelkerze 1: es war vor ihrer Mitgliedschaft in der AfD.

Von Sayn-Wittgenstein schreibt:

2014 war ich noch kein Mitglied der AfD und plante damals auch keinen Eintritt in die Partei. Logischerweise konnte ich zu diesem Zeitpunkt nichts von einer Unvereinbarkeitsliste der AfD wissen.

Mitgliederrundschreiben der AfD-SH vom 02.12.2018

Ja, genau so ist das mit der Unvereinbarkeitsliste. Sie prüft in der Tat die gesamte politische Lebensgeschichte eines Bewerbers. Wie oben zitiert, erfordert die Satzung in so einem Fall eine Einzelfallprüfung. Dazu gehört, dass der Bewerber die Karten auf den Tisch legt. Im Falle einer Mitgliedschaft im Verein Gedächtnisstätte, wäre ein Mitgliedsantrag spätestens auf Bundesebene abgelehnt worden. Die Aussicht auf Bestehen der Einzelfallprüfung sind schlecht.

Wer z.B. vor 30 Jahren Mitglied in der NPD war, kann sich heute gegenüber der AfD auch nicht darauf berufen, er habe das damals noch nicht wissen können, dass es irgendwann einmal die AfD geben würde.

Nebelkerze 2: die Gemeinnützigkeit von Guthmannshausen

Von Sayn-Wittgenstein schreibt:

Selbst wenn ich davon gewusst hätte, der Verein Gedächtnisstätte e.V., damals gemeinnützig, stand 2014 noch nicht auf dieser Unvereinbarkeitsliste, ich habe es jetzt recherchiert. 

Mitgliederrundschreiben der AfD-SH vom 02.12.2018

Ich habe irgendwo gelesen, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit gestrichen wurde, nachdem der Verein unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz gekommen ist. Wann das genau war, konnte ich bisher nicht klären. Das ist aber auch nicht wichtig.

Wichtig ist allein:

  1. Der Verein Gedächtnisstätte wird vom Verfassungsschutz seit 2011 als rechtsradikal eingestuft.
  2. Der Verein war im Frühjahr 2016, zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in die AfD aus Sicht der Partei unvereinbar.

Maßgeblich ist der Zeitpunkt ihres Eintritts. Man muss der AfD zugestehen, zwischen Dezember 2014 und März 2016 dazuzulernen. Doch halt, wie stand es 2014 eigentlich um die Unvereinbarkeitsliste der AfD?

Nebelkerze 3: der Verein Gedächtnisstätte stand 2014 noch gar nicht auf der Unvereinbarkeitsliste

Wir hören noch einmal von Sayn-Wittgenstein:

Selbst wenn ich davon gewusst hätte, der Verein Gedächtnisstätte e.V., damals gemeinnützig, stand 2014 noch nicht auf dieser Unvereinbarkeitsliste, ich habe es jetzt recherchiert. 

Mitgliederrundschreiben der AfD-SH vom 02.12.2018

Mir liegen die Unvereinbarkeitslisten vom 17.04.2015 und vom 22.02.2017 vor. In beiden ist der Verein Gedächtnisstätte aufgeführt. In 2014 gab es noch keine Unvereinbarkeitsliste der AfD. Schauen wir einmal in die Satzung von 2013, also VOR der Werbung für Guthmannshausen aus Dezember 2014:

§ 2 Mitgliedschaft Abs 3:
Personen, die Mitglied einer Organisation sind, welche durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wird oder die Mitglied einer Organisation waren, welche zum Zeitpunkt der Mitgliedschaft durch deutsche Sicherheitsorgane als extremistisch eingestuft wurde, ohne dass diese Einschätzung rechtskräftig von den Gerichten aufgehoben ist, können nur Mitglied der Partei werden, wenn sie darüber im Aufnahmeantrag Auskunft geben und der Bundesvorstand sich nach Einzelfallprüfung für die Aufnahme entschieden hat.

Da schau her. Ja, es gab 2014 noch keine Unvereinbarkeitsliste. Unvereinbar war schlichtweg alles, was vom Verfassungsschutz als radikal eingestuft wurde. Und das heißt: auch 2014 war Guthmannshausen aus Sicht der AfD unvereinbar. Sayn-Wittgenstein hatte laut ihrem Zitat selbst recherchiert. Die Faktenlage ist aber einfach zu recherchieren gewesen.

In 2015 hat die AfD dann die Unvereinbarkeitsregelung umgestellt. Man wollte sich in der eigenen Satzung nicht direkt an den Verfassungsschutz binden und hat auf eine eigene Liste umgestellt. Diese basierte aber auf den Bewertungen des Verfassungsschutzes.

Nebelkerze 4: Guthmannshausen stehe zu Unrecht auf der Unvereinbarkeitsliste

Noch ein Zitat aus dem schon genannten Rundbrief:

Was dazu geführt hat, dass der Verein 2015 auf die Unvereinbarkeitsliste genommen wurde, konnte ich bis jetzt nicht herausfinden.

Auch das ist mit wenig Recherche einfach zu finden. Wir nehmen einfach mal die Unvereinbarkeitsliste von 2015. Der „Verein Gedächtnisstätte“ findet sich dort auf Seite 57. Diese Seite gehört zum Kapitel „Niedersachsen Landesverfassungsschutzbericht 2013“.

Der Verein ist also dadurch auf die Unvereinbarkeitsliste gekommen, dass er 2013 beim Verfassungsschutz in Niedersachsen gelistet war. Das ist plausibel. Das ist gut und richtig so. Die Abgrenzung von der rechtsradikalen Szene in Deutschland ist die politische Lebensversicherung der AfD.

Wie man als (ehemalige) Landesvorsitzende diese einfachen Zusammenhänge nicht erkennt, ist mir ein Rätsel.