Die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin ist Geschichte. Und das ist gut so. Gescheitert ist sie an ihrer Haltung zur Abtreibung.
Ich hatte die Thematik schon in einem Video im Juli 2025 in einem Video besprochen.
Allerdings hält sich bis heute in den sozialen Medien und der öffentlichen Diskussion die Behauptung, man hätte sie missverstanden. Sie hätte das, was man ihr vorwirft, gar nicht gesagt. Sie selbst versucht mit öffentlichen Stellungnahmen diese Behauptungen weiter zu befeuern. Daher schreibe ich das jetzt hier nochmal zum Nachlesen auf.
Abtreibungsfrage und Lebensrecht
Angesichts der Diskussion über die Kandidatur Brosius-Gersdorfs habe ich mir im Sommer 2025 ihre Position zur Abtreibungsfrage und zum Lebensrecht noch einmal genauer angeschaut. Ich war entsetzt und bin es noch immer.
Hören wir erst einmal kurz rein in das, was Brosius-Gersdorf selbst bei Lanz im Interview gesagt hat:
„Es ist falsch, dass ich gesagt hätte, ich bin für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt. Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt. Es ist auch falsch, dass ich gesagt haben soll oder geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat. Das Gegenteil ist der Fall.“
Und jetzt ist die Frage: Stimmt das, was sie da gesagt hat? Machen wir doch mal einen Faktencheck, was Brosius-Gersdorf selbst zu dieser Thematik geschrieben hat.
Das Lebensrecht des Ungeborenen
Ihre Aussage
„Es ist auch falsch, dass ich gesagt haben soll oder geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat. Das Gegenteil ist der Fall.“
ist eine Nebelkerze. Sie hat in einer Stellungnahme zu einem (linken) Gesetzentwurf zur Neuregelung des §218 geschrieben:

„In der Frühphase der Schwangerschaft hat das Lebensrecht des Ungeborenen ein vergleichsweise geringes Gewicht; gleichzeitig genießt das Verlangen der Frau nach einer Beendigung der Schwangerschaft starken grundrechtlichen Schutz. Der Frau steht in dieser Schwangerschaftsphase ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu. Der Schwangerschaftsabbruch ist daher in der Frühphase der Schwangerschaft – anders als bislang – rechtmäßig zu stellen.“
Abschnitt 1.2.1 Grundrechte des Embryos/Fetus (Schutzpflichten des Staates), Seite 9
Insgesamt widmet sie in ihrer Stellungnahme vier (!) Seiten dem Thema dem Thema „Verfassungsrechtlicher Anspruch der Schwangeren auf Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft“. (Fettdruck von mir)
Die entscheidende Frage ist nicht diejenige, ob Brosius-Gersdorf für oder gegen das Lebensrecht des Ungeborenen ist. Die entscheidende Frage ist, ob das Ungeborene (oder der Staat als dessen stellvertretender Anwalt) dieses Recht durchsetzen kann. Ein Lebensrecht, das (zumindest die ersten 12 Wochen) IMMER hinter dem Begehren der Schwangeren auf Abtreibung zurücksteht, ist ein nutzloses Recht. Unter dem Strich existiert es nicht.
Ich werfe Frauke Brosius-Gersdorf deshalb vor, das Lebensrecht des Ungeborenen nicht zu schützen.
Die Gefahr eines verfassungsmäßigen „Anspruchs“ auf Abtreibung
Nehmen wir einmal an, durch Berufung von Frau Brosius-Gersdorf oder von ähnlich denkenden Richtern ans Bundesverfassungsgericht würde sich dort ihre Auffassung durchsetzen, eine Schwangere hätte in den ersten 12 Wochen einen verfassungsmäßigen Rechtsanspruch auf Abtreibung. Was wäre dann?
Dann könnte keine zukünftige Bundestagsmehrheit (z.B. CDU-Alleinregierung) je wieder für diese Phase der Schwangerschaft die Abtreibungsregeln verschärfen – weil die Schwangere laut Meinung des Bundesverfassungsgerichts einen Rechtsanspruch hätte.
Bisher sind solche Fristenregelungen vom Bundesverfassungsgericht schon zweimal als verfassungswidrig abgelehnt worden. Aber mit Juristen wie Brosius-Gersdorf wäre die Lage anders.
Ein Blick in die USA zeigt, wie lange so etwas nachwirken kann: 1973 im Urteil Roe v. Wade postulierte der Supreme Court einen Rechtsanspruch der Schwangeren auf Abtreibung in den ersten 12 Wochen. Dieses Urteil hatte fünf Jahrzehnte Bestand – bis es nach 50 Jahren wieder gekippt wurde.
Und das darf uns in Deutschland nicht auch noch passieren. Deshalb haben Juristen wie Brosius-Gersdorf im Bundesverfassungsgericht nichts verloren.
Aber es geht noch schlimmer
Auch zu den weiteren Phasen der Schwangerschaft hat Brosius-Gersdorf ausführlich geschrieben – etwa im Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung. Dort war sie Kapitelverantwortliche für das Kapitel „Verfassungsrechtlicher Rahmen für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“. (PDF ab Seite 165) Sie muss sich als Verantwortliche für diesen Abschnitt also den Inhalt dieses Kapitels vorhalten lassen.
Sie unterscheidet drei Phasen der Schwangerschaft:
1. Frühphase – die ersten 12 Wochen:
Dies hatten wir oben schon gesehen. Sie führt es aber auch hier aus. Seite 212, Kapitel 5.3)

“Der Frau steht in dieser Schwangerschaftsphase ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu. Der Schwangerschaftsabbruch ist daher in der Frühphase der Schwangerschaft – anders als bislang – rechtmäßig zu stellen.”
2. Mittlere Phase (bis zur 22. Woche)
Das zweiten Tertial endet mit der 22. Schwangerschaftswoche. Dies ist der Beginn der Lebensfähigkeit des Kindes bei entsprechender intensivmedizinischer Betreuung. (Die Zahl 22. SSW wird an anderer Stelle im Bericht genannt, z.B. Seite 47.)
Hierzu schreibt Brosius-Gersdorf:

Mittlere Phase der Schwangerschaft: Zwischen dem Ende der frühen Schwangerschaftswochen und der Lebensfähigkeit des Fetus ex utero steht dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu, wie er den grundrechtlichen Güterkonflikt auflöst und bis zu welchem Zeitpunkt er den Schwangerschaftsabbruch als rechtmäßig anzieht.
(Kommissionsbericht Seite 28, aus der Zusammenfassung des Kapitel 5)
Dieser „weite Spielraum“ wird von ihr nicht weiter eingegrenzt. Er geht offenbar bis zum Ende des zweiten Tertials. Auf Seite 210 des Kommissionsberichts schreibt sie:
„Für die mittlere Phase der Schwangerschaft (Ende der frühen Schwangerschaftswochen bis Lebensfähigkeit ex utero) gilt: Soweit der Gesetzgeber nachvollziehbar von einem Vorrang der Grundrechte der Frau gegenüber dem Lebensrecht des Embryos/Fetus ausgeht, ist ein Schwangerschaftsabbruch zulässig. Eine Strafbewehrung scheidet dann ebenso wie in der Frühphase der Schwangerschaft aus.“
Der Unterschied zum ersten Tertial ist aus Sicht von Brosius-Gersdorf lediglich dieser: Im ersten Tertial gibt es ihrer Ansicht nach ein verfassungsmäßiges Recht der Schwangeren auf Abtreibung. Im zweiten Tertial hängt dies aber vom Gesetzgeber ab. Er kann im zweiten Tertial Abtreibungen beliebig erlauben, er muss es aber nicht. Man kann davon ausgehen, dass eine linke Bundestagsmehrheit diesen Spielraum voll ausnutzen würde.
Spätphase – ab der 22. Woche bis zur Geburt
Wie sieht es nun im dritten Tertial aus? Ist das Ungeborene wenigstens dann geschützt? Man ahnt es schon: laut Brosius-Gersdorf ist auch das nicht der Fall.
Zwar schreibt sie auf Seite 212 des Kommissionsberichts:
„Der Gesetzgeber muss den Schwangerschaftsabbruch in dieser Spätphase daher grundsätzlich als rechtswidrig erachten.“
Aber aus dieser Rechtswidrigkeit folgt nichts. Seite 213

„Soweit der Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig ist, scheidet eine Strafbewehrung aus. Soweit der Schwangerschaftsabbruch dagegen rechtswidrig ist, liegt es grundsätzlich in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, dies kriminalstrafrechtlich abzusichern.
Der Kommissionbericht wurde auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Hier bringt Brosius-Gersdorf genau diese Auffassung auf den Punkt (ab Zeitstempel 9:17):
„und drittens: in der späten Schwangerschaftsphase ab ca. 22 Schwangerschaftswoche ist der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig. Soweit der Gesetzgeber Schwangerschaftsabbrüche untersagt, DARF er das Verbot strafrechtlich absichern,
MUSS es aber nicht.“
Klarer kann man die Rechte des Ungeborenen kaum mit Füßen treten. Es würde das gelten, was auch jetzt schon für die erstern 12 Wochen gilt: die Strafbarkeit der Abtreibung ist (jedenfalls nach absolviertem oder abgesessenem Beratungsgespräch) zwar rechtswidrig, aber straffrei. Angekommen beim Bürger ist unterm Strich aber: Abtreibung ist erlaubt.
Das würde Spätabtreibungen Tür und Tor öffnen. Und es ist dabei völlig egal, ob das viele oder wenige Fälle wären. Natürlich werden das nur wenige sein. Aber es ist und bleibt ist Unrecht – und darf in Deutschland nicht zum Recht erklärt werden.
Was hat Frauke Brosius-Gersdorf gefordert und was nicht?
Betrachten wir noch einmal das eingangs genannte Zitat:
„Es ist falsch, dass ich gesagt hätte, ich bin für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt. Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs [bis] vor der Geburt. Es ist auch falsch, dass ich gesagt haben soll oder geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat. Das Gegenteil ist der Fall.“
Wir haben aber oben detailliert nachgezeichnet, wie Brosius-Gersdorf die Rechtslage zur Abtreibung sieht. Sie hat ausrücklich gesagt, dass der Gesetzgeber auf Strafverfolgung bei Spätabtreibung verzichten darf. Gleichzeitig sagt sie von sich, sie sei nie für die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis vor der Geburt eingetreten. Wie passt das zusammen?
Der Trick ist einfach. Sie tritt nicht als Politikerin auf, die in der politischen Arena Forderungen stellt. Stattdessen sieht sie ihre Rolle in der einer Wissenschaftlerin. Ihr Produkt sind nicht Forderungen, sondern Stellungnahmen. Stellungnahmen, die sie als wissenschaftlich bezeichnet. Diese Stellungnahmen werden dann von linken Politikern als wissenschaftlich und damit als nicht hinterfragbar in der politischen Auseinandersetzungen eingesetzt. Der eingangs erwähnte Gesetzentwurf zur Abtreibung führt Brosius-Gersdorf gleich 8x als Beleg an.
Sie fordert nicht selbst. Sie sagt von sich selbst zur Spätabtreibung sogar von sich, dass sie nicht dafür eintritt. Sie schießt nicht selbst. Das übernehmen linke Politiker z.B. im Bundestag. Stattdessen betätigt sich Brosius-Gersdorf als politischer Waffenlieferant für linke Gesetzesinitiativen.
Das tut sie schon länger. Der Versuch, sie als Richerin im Bundesverfassungsgericht zu installieren, hätte ihren Wirkungskreis erheblich erweitert. Sie wäre nun (zusammen mit ihren Kollegen) diejenige gewesen, über Gesetze zu entscheiden, die der Bundestag beschließt.
Und jetzt stellen wir uns einmal vor, wir hätten eine links-grüne Mehrheit im Bundestag. Und diese Mehrheit würde die Abtreibung bis zur Geburt als rechtswidrig aber straffrei einordnen. Dann würde die CDU dagegen klagen. Und Brosius-Gersdorf würde dann die Klage ablehnen und sagen: das ist möglicher Gestaltungsspielraum des Bundestages.
Und genau deswegen haben Personen wie Frauke Brosius-Gersdorf im Verfassungsgericht nichts verloren.
Heiko Evermann, Oktober 2025
Links:
- Brosius-Gersdorf selbst bei Lanz im Interview: https://www.youtube.com/shorts/24i7ERM1Bl0
- Stellungnahme von FBG zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (BTDrucksache 20/13775): https://www.bundestag.de/resource/blob/1049772/Stellungnahme-Brosius-Gersdorf.pdf
- Der mehrfach genannte Kommissionsbericht: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Kom-rSF/Abschlussbericht_Kom-rSF.pdf