Die Brandmauerfalle der CDU – und wie sie herauskommen kann

In der Politik und den Medien geht es immer wieder um die AfD. Zentraler Punkt der politischen Auseinandersetzung ist hierbei das Konzept der “Brandmauer”. Diese wird insbesondere von der CDU eingefordert, die an sich eine Reihe von politischen Überschneidungen mit der AfD hätte.

Die CDU hat diese Brandmauer so stark verinnerlicht, dass sie die Gefahr dieser Mauer gar nicht mehr sieht. Ich nenne dies die “Brandmauerfalle” der CDU.

Was ist die Brandmauer?

Brandmauer gegen die AfD heißt: Anträge der AfD werden abgelehnt, egal, worum es geht. Das hört sich dann so an (Spiegel)

»Ob sie die Bibel vorschlagen oder das SPD-Wahlprogramm, denen stimmen wir nicht zu«, sagt der SPD-Kreisvorsitzende Andreas Langethal-Heerlein.”

In der Audioversion des Artikels wird noch ausgeführt, dass diese Aussage ursprünglich von Ralf Stegner kommt, dem ehemaligen SPD-Landesvorsitzenden von Schleswig-Holstein.

Es ist also völlig egal, was die AfD will, mit ihr wird nicht gemeinsam abgestimmt.

Wo ist die Messlatte für die Brandmauer?

Die Messlatte für die Brandmauer ist dabei höher als es auf den ersten Blick scheint. Man könnte sich ja darauf beschränken, AfD-Anträgen einfach nicht zuzustimmen und Ausschussvorsitzende der AfD nicht zu wählen. Aber das reicht den Verfechtern der reinen Lehre von der Brandmauer nicht aus.

Besonders gut konnte man dies bei der Wahl des thüringischen FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten von Thüringen sehen. Er war zwar von der Mehrheit des Parlaments gewählt worden, aber er hatte nur die Mehrheit, weil die AfD die entscheidenden Stimmen beigetragen hatte. Die Bundeskanzlerin mischte sich höchstpersönlich ein. Sie befand sich gerade auf Staatsbesuch in Südafrika und verkündete von dort (FAZ):

“Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die von CDU und AfD ermöglichte Wahl des Thüringer FDP-Chefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Landes als „unverzeihlich“ bezeichnet. Deshalb müsse „auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden“, sagte Merkel am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im südafrikanischen Pretoria. Daran werde in den kommenden Tagen gearbeitet.”

Diese Marschroute gilt auch bis in die kleinste Kommune. Nach der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein im Mai 2023, bei der die AfD zum Teil deutlich zulegen konnte, hieß es von Seiten der “demokratischen Parteien”, wie sich die “etablierten Parteien” selbst gerne bezeichnen (NDR):

„Vor Abstimmungen oder Gremienbesetzungen solle stets ein gemeinsames Vorgehen besprochen und festgelegt werden.”

Planung von Abstimmungen – wie geht das konkret?

Was bedeutet nun diese Aussage:

“Vor Abstimmungen oder Gremienbesetzungen solle stets ein gemeinsames Vorgehen besprochen und festgelegt werden.”

Ich möchte betonen: es soll hier nicht nur ein gemeinsames Vorgehen “besprochen” werden, sondern es soll auch “festgelegt” werden. 

Ziel ist es offenbar auch hier sicherzustellen, dass die AfD in keinem einzigen Fall Zünglein an der Waage ist.

Ich habe dies in meiner Zeit als AfD-Fraktionsvorsitzender im Kreistag Segeberg im Verlauf von dreieinhalb Jahren (bis zu meinem Austritt aus der AfD) beobachten können. Ich kann mich an keine Abstimmung erinnern, bei der die Stimmen der AfD maßgeblich gewesen wären.

Doch halt: einen Fall gab es. Ein Antrag wurde mit den Stimmen der AfD abgelehnt. In der folgenden Kreistagssitzung wurde derselbe Antrag von der SPD praktisch unverändert erneut zur Abstimmung gestellt, und da wurde der Antrag dann gegen die Stimmen der AfD beschlossen.

Ich habe mich im Kreistag oft gefragt, wie die anderen Parteien das gemacht haben, dass es immer auch ohne die Stimmen der AfD gepasst hat. Nach den allgemeinen Programmen der anderen Parteien hätte ich in so mancher Frage eine andere Positionierung von CDU oder FDP erwartet.

Im Lichte der offiziellen Aufforderung im NDR-Bericht wird aber klar, was dort passiert sein muss: man hat sich offenbar vorher in Abwesenheit der AfD besprochen und ein gemeinsames Vorgehen festgelegt.

Diese Absprachen erfolgten NICHT während der zuständigen Fachausschusssitzungen. Niemand sagte da “oh, da kann ich jetzt nicht mitstimmen, wegen der AfD und dem Zünglein an der Waage”.

offizielle Kungelrunden

Nun kann ich natürlich nicht wissen, wann man sich stattdessen abgesprochen hat. Ich kann noch nicht einmal nachweisen, DASS es solche Absprachen im Kreis Segeberg gegeben hat. Vielleicht entsprach das Abstimmungsverhalten von CDU und FDP tatsächlich den lokalen Überzeugungen des Kreisverbands?

Ich kann nur mit Verwunderung feststellen, dass nach meinem Eindruck die CDU und die FDP im Kreis Segeberg linkere Positionen vertreten haben, als dies ihrer allgemeinen Positionierung im Bund entsprochen hätte.

Was ich aber habe, ist diese offizielle Stellungnahme der Parteien gegenüber dem NDR aus 2023:

“Vor Abstimmungen oder Gremienbesetzungen solle stets ein gemeinsames Vorgehen besprochen und festgelegt werden.”

Und der einzige Weg, das praktisch umzusetzen ist m.E. eine Kungelrunde abseits der Kreistage. Dort bespricht man sich. Dort legt man fest, wie sich die Fraktionen positionieren müssen. Und entsprechend muss man sich dann in den tatsächlichen Fachausschüssen und Kreistagssitzungen auch verbiegen. Man muss sich zur Not mindestens enthalten, um zu erreichen, dass die AfD niemals, auch nicht ein einziges Mal Zünglein an der Waage wird.
Die wenigen Male, wo da doch etwas durchrutscht werden dann in der Presse deutschlandweit breitgetreten, mit dem offenen Vorwurf, dass dort die Brandmauer verletzt worden sei.

Paralleldemokratie

Man führt damit eine “Paralleldemokratie” ein, in der man die Mandate der AfD und damit auch die Stimmen der AfD-Wähler für ungültig erklärt. Man sorgt gemeinsam dafür, dass diese Stimmen der AfD keine Rolle spielen.

Ich halte dieses Vorgehen für ein schweres demokratisches Foul.

In der Kreisordnung Schleswig-Holsteins heißt es in §22

“(1) Der Kreistag legt die Ziele und Grundsätze für die Verwaltung des Kreises fest. Er trifft alle für den Kreis wichtigen Entscheidungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten und überwacht ihre Durchführung, soweit dieses Gesetz keine anderen Zuständigkeiten vorsieht.”

Die Entscheidungen werden also im Kreistag getroffen, und nicht in einer undemokratischen Kungelrunde unter Ausschluss eines signifikanten Teils der Mandatsträger.

§30 legt außerdem fest:

“ Die Sitzungen des Kreistags sind öffentlich.”

Stattdessen tagt aber offenbar ein Nebenkreistag, wahrscheinlich der Fraktionsvorsitzenden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der tatsächliche Kreistag dient nur noch zur Umsetzung der Beschlüsse der geheimen Kungelrunde unter Ausschluss der AfD.

Es muss die Frage gestellt werden, welche Parteien im Kreistag bei diesem Verhalten tatsächlich die “demokratischen” Parteien sind?

Meiner Meinung nach ist dieses Foul so gravierend, dass die selbsternannten “demokratischen Parteien” sich dieses Etikett hinsichtlich der Kreistage in Schleswig-Holstein zu Unrecht anheften.

Das ganze ist zum Schaden der Demokratie. Es fördert die Politikverdrossenheit. Auch versucht man damit, potenzielle AfD-Wähler zu erpressen: “Schau her, wenn du die AfD wählst, dann zwingst du die CDU links abzustimmen.”

Die CDU in der Brandmauerfalle

Der Hauptleidtragende dieser hierbei ist die CDU. Sie hat die Rolle angenommen und verinnerlicht, die personifizierte Brandmauer gegen die AfD zu sein. Sie kann in dieser Lage nur zusammen mit der SPD und den Grünen regieren. Sie kann das natürlich nur tun, indem sie systematisch auf konservative Standpunkte verzichtet. Und sie fühlt sich in dieser Rolle seit 2009 auch ziemlich wohl.  Ich verweise hierzu auf meinen Artikel zur “asymmetrischen Demobilisierung”.

Sie verliert damit aber zunehmend die konservativen Wähler. 

Diese Situation wird immer verrückter. Betrachten wir einmal die aktuelle Umfrage für die Landtagswahl in Thüringen. Sie liefert einen Vorgeschmack auf den Herbst 2024:

  • CDU: 20 %
  • SPD: 10 %
  • Grüne: 5 %
  • FDP: 4 %
  • Linke: 22 %
  • AfD: 32 %
  • Sonstige 7 %

Unterstellen wir einmal, dass die Grünen die 5%-Hürde nicht schaffen, dann fallen 16% der Stimmen der 5%-Hürde zum Opfer. Man bräuchte nur 42% für eine absolute Mehrheit und wir hätten diese Sitzverteilung:

  • CDU: 21 Sitze
  • SPD: 10 Sitze
  • Linke: 23 Sitze
  • AfD: 34 Sitze

Eine Koalition bräuchte 45 Stimmen. Diese wären unter Ausschluss der AfD nur zu bekommen, wenn CDU, SPD und Linkspartei, alle gemeinsam, eine Koalition eingingen. 

Alternativ dazu könnte man auch eine Minderheitsregierung tolerieren.

Da unter Ausschluss der AfD-Stimmen nach dem Brandmauerprinzip die linken Parteien (SPD und Linkspartei) eine Mehrheit hätten, würden sie den Anspruch erheben, weiter regieren zu dürfen. Die CDU würde in die Röhre schauen.

Und das, obwohl CDU und AfD gemeinsam 57 von 88 Mandate hätten. Das wären 64% der Mandate!

Der einzige Weg aus der Brandmauerfalle

Der einzige Weg für die CDU, dieser Brandmauerfalle zu entkommen wäre, selbst eine Minderheitsregierung zu stellen.

Gleichzeitig müsste die CDU den Linken sagen: wir ziehen das durch. Wir stellen den Ministerpräsidentenm, zur Not auch unter Tolerierung durch die AfD. Wenn Ihr nicht wollt, dass die AfD Zünglein an der Waage wird, dann müsstet Ihr mit uns stimmen oder euch zumindest enthalten. Die CDU müsste den Spieß der Brandmauer also umdrehen und selbstbewusst den Linken vorwerfen: das ist alles Eure Schuld, ihr hättet Euch ja auch enthalten können.

Genauso müsste die CDU dann auch regieren. Sie müsste Stück für Stück, Gesetz für Gesetz selbstbewusst ein konservatives Programm zur Abstimmung stellen und auf wechselnde Mehrheiten setzen. Bei konservativen Punkten wäre die Schnittmenge mit der AfD groß. Die CDU könnte damit ihr Programm durchsetzen. Wenn sie dazu das Rückgrat hätte.

Was wird stattdessen passieren?

Die Abwehrstrategie von Linkspartei und SPD wäre einfach: jedesmal, wenn das geschieht, die Kemmerichkarte ziehen und feststellen “das ist unverzeihlich” und fordern “das muss rückgängig gemacht werden”. 

Ich gehe davon aus, dass diese Strategie verfängt und dass die CDU nicht das Rückgrat aufbringen wird, sich selbst aus der Brandmauerfalle freizuschwimmen.

Was sind die Optionen der Wähler?

Wie stellt sich die Lage aus Sicht eines potenziellen CDU-Wählers dar? Man sollte von der CDU fordern, sich vor der Wahl festzulegen. Auch die Linken werden das fordern, denn die reine Lehre der Brandmauer heißt auch, im Vorwege hoch und heilig zu versprechen, dass man die Brandmauer unter allen Umständen einhalten wird.

Als konservativer CDU-Wähler müsste man dann feststellen, dass eine Stimme für die CDU eine verlorene Stimme wäre, denn sie könnte in keinem einzigen Fall ihre konservativen Anliegen durch das Parlament bekommen. Die CDU kann damit keine Stimmen von der AfD abwerben, sie macht stattdessen deutlich, dass sie für derzeitige AfD-Wähler kein Angebot hat.

Was könnte man als konservativer CDU-Sympathisant also tun? Man könnte einfach zu Hause bleiben.

Oder man täte das “undenkbare”: man benennt den Bluff der Linken als das, was er ist: ein Bluff, ein Scheinriese (Wikipedia) und man wählt als CDU-Sympathisant einfach mal die AfD. 

Was könnte dann passieren?

Man würde die CDU als Wähler zum politischen Offenbarungseid zwingen, zur Koalition mit der Linkspartei, und das im Herbst 2024 gleich drei Mal: in Sachsen, in Thüringen und in Brandenburg. 

Es könnte aber noch etwas anderes passieren: wenn drei AfD-Wähler noch einen ehemaligen CDU-Wähler mitbringen, dann könnte es sogar für eine absolute Mehrheit der AfD reichen. 

Die AfD hat im Herbst 2024 dazu 3x die Chance. Drei Landtagswahlen, drei Matchbälle. 

Auf das Geschrei im politischen Berlin, wenn die AfD davon einen verwandelt, bin ich schon gespannt. 

Der CDU ist offenbar gar nicht klar, in welch gefährliche Lage sie sich damit gebracht hat, denn Mike Mohring, CDU-Landtagsabgeordneter in Thüringen denkt laut über offene Kooperationen mit der Linkspartei nach und hält den Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Llinkspartei für mittlerweile nicht mehr zeitgemäß, z.B. hier im O-Ton in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Man darf auf den Herbst 2024 also gespannt sein.