Die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) war eine rechtsextreme Organisation, die daran gearbeitet hat, die Jugend frühzeitig für rechtsextreme Strukturen zu gewinnen. Sie wurde 2009 verboten und wurde mehrfach in den Verfassungsschutzberichtenn genannt. Sie steht auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Ehemalige Mitglieder der HDJ können in der AfD nicht Mitglied werden.
Die mittlerweile aufgekommenen Vorwürfe, Andreas Kalbitz, Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg, habe den Kontakt zur HDJ gepflegt und sei dort sogar Mitglied gewesen, haben daher für die AfD ein erhebliches Gewicht. Welche Beweiskraft haben diese Vorwürfe?
Teilnahme an einem HDJ-Zeltlager 1993
Im August 2019 berichtete die ARD, Kalbitz habe 1993 an einem Zeltlager der HDJ im Jahre 1993 teilgenommen. Aus Tagesschau investigativ:
“ Das Sommerlager der Rechtsextremen war damals von der Polizei zunächst observiert und dann durchsucht worden. Aus einer Verfassungsschutz-Akte, die Kontraste und Brandenburg aktuell in Auszügen vorliegt, geht hervor, dass die Thüringer Polizei bei einer Kontrolle von Personalien einen „Kalbfitz, Andreas, geb. 17.11.1972 in München“ wohnhaft in München als Teilnehmer des Sommerlagers notiert hatte. Geburtstag und -ort sind identisch mit den Daten von Andreas Kalbitz, die falsche Schreibweise seines Nachnamens beruht offenbar auf einem Tippfehler.“
Kalbitz war damals 20 Jahre alt. Er sei damals als Scharfmacher aufgefallen:
„Kontraste und Brandenburg aktuell machten zudem einen Teilnehmer des rechtsextremen Lagers ausfindig, der sich an Kalbitz während des Sommerlagers erinnert. Dietwald Claus, der zwischenzeitlich aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist, gibt an, Kalbitz sei ihm dort als „Scharfmacher“ aufgefallen. „Er war ein bisschen härter drauf als die meisten“, so Claus.
Seine Beobachtungen über Kalbitz äußerte Claus 1995 auch im „Thule-Netz“, einem rechtsextremen Online-Forum. Entsprechende Protokolle liegen Kontraste und Brandenburg aktuell vor. Claus, der seit rund 20 Jahren in Nordamerika lebt, erfuhr nach eigenen Angaben erst durch die Anfrage der Medien von Kalbitz‘ Funktionen innerhalb der AfD.“
Teilnahme am HDJ-Pfingstlager 2007
Schon ein Jahr vorher, im März 2018, berichtete das ARD-Magazin Kontraste von einer Teilnahme von Kalbitz am Pfingstlager der HDJ im Jahr 2007. Die Zeit über den damaligen Bericht:
“ Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) in Brandenburg und Beisitzer im Bundesvorstand der Partei, stand in Verbindung zur inzwischen verbotenen rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Das berichtet das ARD-Magazin Kontraste und beruft sich dabei auf Fotos und Filmaufnahmen. Kalbitz habe demnach 2007 an einem sogenannten Pfingstlager der HDJ teilgenommen. Das mehrtägige Treffen habe in Eschede auf einem Bauernhof stattgefunden, ein Programmpunkt sei „germanischer“ Mehrkampf gewesen.“
Kalbitz wurde dazu befragt und antwortete der ARD (wieder aus der Zeit):
Das ARD-Magazin Kontraste konfrontierte Kalbitz mit den jüngsten Recherchen, die nach Eschede führten. Der AfD-Politiker teilte zunächst mit: „Eine Teilnahme an dieser Veranstaltung der HDJ vor elf Jahren ist mir nicht mehr erinnerlich, aber nicht ausgeschlossen, da ich eine Vielzahl verschiedenster Veranstaltungen besucht habe.“ Anhänger der HDJ sei er nicht gewesen. Mit den Fotos konfrontiert, korrigierte sich Kalbitz später und räumte seine Teilnahme am Pfingstlager gegenüber dem rbb ein. „Ich war als Gast dort, mutmaßlich, um mir das mal anzuschauen. Ich sehe da kein Problem.“
Meiner Meinung nach ist das als Antwort in keiner Weise ausreichend. Offenbar war Kalbitz ja schon 14 Jahre vorher da, um sich die HDJ „mal anzuschauen“. Wenn es nur darum gegangen wäre, sich mal ein Bild davon zu machen, was rechtsradikale in Deutschland so tun, warum hat dann der Besuch im Jahr 1993 nicht ausgereicht? Für mich sieht das vielmehr nach einem gezielten Besuch bei der HDJ aus.
Mit seinen damals 34 Jahren gehörte Kalbitz übrigens nicht zur jugendlichen Zielgruppe der HDJ. Hierzu aus dem Verfassungsschutzbericht Brandenburg von 2008:
„Der eigentlichen Organisation sind so genannte „FFK“ (=Freundes- und Familienkreise) angegliedert. Deren Zweck liegt sowohl in der materiellen als auch organsiatorischen Unterstützung und in der Einbindung ganzer Familien in die Kernorganisation. Die FFK bilden die Schnittstelle zwischen den Generationen innerhalb der HDJ.
Während die HDJ als Jugendorganisation nur Personen im Alter von sieben bis 29 Jahren umfasst, gibt es bei den FFK keine altersmäßige Beschränkung. Auf diese Art und Weise versucht die HDJ ihr „Lebensbund-Konzept“ zu verwirklichen. Es zielt darauf ab, ein rechtsextremistisches „Angebot für die ganze Familie“ zu schaffen, wobei das Erleben von Gemeinschaft und gemeinsame Veranstaltungen im Vordergrund der Aktivitäten stehen. So sollen bereits kleine Kinder über gemeinsame Aktivitäten ihrer Familie an die HDJ und deren rechtsextremistische Vorstellungswelt herangeführt werden. Scheiden Personen altersbedingt aus der HDJ aus, bleiben sie über die FFK der HDJ weiterhin verbunden. Kontakte und Netzwerke bleiben bestehen, um später die eigenen Kinder an die HDJ heranzuführen.“
Aus dem Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2007
“Eine gewisse Publizität erreichte das Pfingstlager der HDJ vom 25. bis 28. Mai 2007. Auf dem Privatgelände eines NPD-Mitglieds im niedersächsischen Eschede (Landkreis Celle) fand das Lager vom Familienverband der HDJ und das Jugendlager mit weit über 100 Teilnehmern statt. Eine polizeiliche Auflage hatte vorher das Tragen uniformähnlicher Kleidung verboten.”
Das heißt: es das Pfingstlager 2007 richtete sich an zwei Gruppen:
- zum einen an die Kinder und Jugendlichen und
- zum zweiten an die FFKs. Andreas Kalbitz gehörte altersmäßig in diese Gruppe.
Im Internet findet sich eine kurze Videosequenz, in der Kalbitz auf diesem Pfingstlager gezeigt wird sowie eine Reihe von Fotos. Einige mit Kalbitz und einige, die das Lager als solches zeigen. Eines der Zelte war beschriftet mit „Führerbunker“, stilecht in Fraktur.
Die Mitgliedschaft von Kalbitz in der HDJ
Wie glaubhaft ist die Aussage von Kalbitz, dass er sich dort nur mal umgesehen habe? Der Verfassungsschutz jedenfalls widerspricht Kalbitz. Es existiert dort offenbar ein umfangreiches Dossier über den Flügel, welches die Basis dafür ist, den Flügel als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung “ (so dessen Presseerklärung) zu bewerten.
Dieses Gutachten liegt neben dem Verfassungsschutz auch dem Spiegel vor. Der AfD wurde es vom Verfassungsschutz nicht zugestellt.
„Auf 258 Seiten führt der Inlandsgeheimdienst aus, warum der völkische Flügel der AfD rechtsextremistisch ist – und droht der Gesamtpartei eine mögliche Beobachtung an. Der SPIEGEL hat das Gutachten ausgewertet.“
Der Spiegel weiter:
„Im Gutachten des Verfassungsschutzes, über das der SPIEGEL am Freitag berichtet hatte, wird der Landes- und Fraktionschef der Brandenburger AfD und Organisator des völkischen „Flügels“ mehrfach prominent erwähnt. Unter anderem geht es dabei um die 2009 verbotene neonazistische „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ). Dem Bundesamt liegt eine Mitgliederliste von 2007 vor, in der eine „Familie Andreas Kalbitz“ aufgeführt wird.“
Sogar die Mitgliedsnummer wurde von der Presse veröffentlicht. Der Tagesspiegel dazu:
„Wie der „Spiegel“ unter Berufung auf das 258-Seiten-Gutachten des Bundesverfassungsschutzes berichtet, sei Kalbitz „über Jahrzehnte“ im „organisierten Rechtsextremismus“ verwurzelt gewesen. Und „nachweislich“ habe Kalbitz „über mindestens 14 Jahre“ mit der HDJ Kontakt gehabt und sei auch Mitglied gewesen. Dem Bericht zufolge liegt dem Bundesamt eine Mitgliederliste der HDJ aus dem Jahr 2007 vor. Und darin sei unter der Mitgliedsnummer 01330 die „Familie Andreas Kalbitz“ genannt.“
Da nun würde ich sehr gerne mal dieses Gutachten im Original sehen. Wenn ich vor der Wahl stehe, wem ich mehr glaube:
- Andreas Kalbitz, der sich viele rechtsextreme Sachen nur mal so angeschaut haben will oder
- Dem Verfassungsschutz, dem die Mitgliederliste der mittlerweile verbotenen HDJ offenbar vorliegt, (immerhin gab es bei der HDJ Hausdurchsuchungen, siehe hier)
Dann kann ich für meinen Teil den Ausführungen von Kalbitz nicht glauben.
Irgendwann wird das Dossier des Verfassungsschutzes sicherlich öffentlich zugänglich werden. Das war vor einem Jahr nicht anders. Das Gutachten, mit dem der Flügel zum Verdachtsfall erklärt wurde, wurde von netzpolitik.org veröffentlicht. Es wäre gut, wenn das Dossier der AfD bald vorliegt. Dann könnte sie daraus Konsequenzen ziehen. Wenn die Mitgliedsnummer der Familie Kalbitz mehr ist als Hörensagen durch die Presse, wenn sie durch ein Dokument des Verfassungsschutzes belegt wäre, dann könnte das nur eine mögliche Konsequenz haben: Andreas Kalbitz müsste die Mitgliedschaft in der AfD entzogen werden. Je eher desto besser.